wolkenlose Leben

Jeden Morgen, dann, wenn die Sonne gerade erst ihre allerersten Botengänge über unsere Erde macht und zarghaft ihre warmen Finger über Wald und Feld streichen lässt, dann fahre ich los. Um mich herum entstehen innerhalb meines halbstündigen Schulwegs die atemberaubendsten Gebilde aus Wolken, Himmelsrissen, Farben und Schatten, die man sich vorstellen kann und von denen jeder Künstler träumt, sie erfassen zu können. Und jeden Morgen bin ich verlüfft, erstaunt, bewundere dieses Schauspiel der aufgehenden Sonne - und bin glücklich. Ehrlich. Könnte man an Glück sterben, so würde es mir jeden Morgen aufs neue passieren. Dieses Gefühl, das mit jedem neuen Sonnenstrahl, der sich durch dunkle Wolkenberge schleicht, in meinen Körper dringt, mich komplett ausfüllt, mich strahlen lässt bis mir die Tränen kommen und mich fühlen lässt, dass ich lebe - das ist Glück, das ist Lebensfreude. Das ist der Sonnenaufgang. Doch manchmal wenn ich mir dieses magische riesenkunstwerk anschaue, das sich von Tag zu Tag, von Minute zu Minute verändert, dann frage ich mich : Wie? Wie geht das? Wie kann etwas so schlichtes, so unmaterielles, so unsichtbare wie der Himmel sich in diese Explosion der Sonne verwandeln? Und weshalb tut er das überhaupt? Aus welchem Grund? Gibt es überhaupt einen Grund für dieses Naturschauspiel? Ich denke schon. Ja, ich habe eine Theorie zum Sonnenaufgang - und zum Sonnenuntergang, sowie zu allen Himmelsgebilden, die der Tag dazwischen zu bieten hat. Wäre es nicht möglich, dass der Himmel - der Ort der ungeborenen und wiedergekehrten Seelen - dass dieser Himmel seine Bewohner wiederspiegelt? Wäre es nicht denkbar, dass diese unglaublichen, atemberaubenden, fantastischen Gebilde, die sich da über uns und um uns herum finden, das Abbild derer sind, die der Sonne am nächsten sind? Jeder Sonnenstrahl so warm wie das Lächeln eines Neugeborenen, die strahlende helle Kugel am Mittagshimmel sein Willkommensgruß in dieser Welt, der ihm zeigt, dass es in dieser Welt voller Dunkelheit und Hass, in die er geboren wurde, auch Licht, Mut und Hoffnung gibt. Die dunklen Wolkenstreifen, erlechtet von den letzten Boten des Lebends, des Lichts, ein Abschiedsgruß der Verstorbenen, derer, die uns mit der Sonne zusammen verlassen. Die tausenden Farben, die die Welt auf einen neuen, einen schönen und strahlenden Tag einstimmen als Winken der Verlorenen, die damit ihre Augen auf ihren Nachkommen ruhen lassen, sie auch an diesem Tag bei Freude und Glück von ihren Wolkentürmen droben am glänzenden Himmelsthron zu beobachten. Ein Zeichen derer, die das Leben von uns hier unten von Außen sehen können, dass wir niemals aufgeben dürfen, dass wir immer Licht und Freundschaft finden werden, egal wie dunkel und einsam der Himmel um uns zu sein scheint - denn wenn du glaubst es geht nicht mehr kommt von irgendwo ein Lichtlein her.

 

Faceless

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